Hunderte von Frauen demonstrieren in Bern auf dem Bundesplatz anlässlich des landesweiten Frauenstreikes vom 14. Juni 1991. Foto: KEYSTONE/Edi Engeler
Der 14. Juni 1991 ist als «Frauenstreiktag» in die Geschichte der Schweiz eingegangen. Wie haben Sie, als Initiantin, diesen Tag in Erinnerung?
Christiane Brunner: Ich bin aufgewacht und hatte Angst, dass nichts passiert. Ich hatte einfach Angst! Ich bin dann mit dem Zug nach Solothurn gefahren. Bereits auf dem Weg zum Bahnhof habe ich viele Frauen angetroffen. Sie waren unterwegs und waren gut zu erkennen, weil sie ein Kleidungsstück in Pink, Ballone, Transparente und Schilder mit Forderungen und Slogans trugen. In Solothurn traf ich dasselbe an. Im Verlaufe des Tags passierte dann immer mehr. Abends, als ich beim Schweizer Fernsehen Rede und Antwort stehen musste, strahlte ich einfach nur noch vor Freude. Es war ein Wagnis, einen solchen Streiktag auf die Beine zu stellen. Wäre nichts oder fast nichts passiert, dann wäre das eine persönliche Niederlage gewesen.
Sie waren damals Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft SMUV (Schweizerischer Metall- und Uhrenarbeiterverband) und im Vorstand des SGB (Schweizerischer Gewerkschaftsbund). Was meinten Ihre Kollegen zum Streik?
C.B.: Vor dem Streik hat mich der damalige SGB-Präsident Fritz Reimann warnend darauf hingewiesen, dass ich die Verantwortung alleine zu tragen hätte, sollte die Aktion zum Flop werden. Wir standen auf der Strasse und er hat den Finger drohend in die Höhe gestreckt und gesagt: Christiane, du bist Schuld, wenn es nichts wird!
Der Frauenstreik war ein Erfolg. Mehr als eine halbe Million Frauen haben sich an den vielfältigen Aktionen beteiligt. Die nationale und internationale Beachtung war enorm. Wie haben Sie es geschafft, so viele Frauen zu überzeugen?
C.B.: Zuerst musste ich das Projekt innerhalb des SMUV durchbringen. Die eher traditionell eingestellten Gewerkschafter waren gegen die Idee eines Streiks. Wir hatten ja Gesamtarbeitsverträge, da brauchte es keinen Streik. Die eher links eingestellten Gewerkschafter fanden, ein Streik sei ein Streik. Streik und Hausfrauen, das gehe nicht zusammen. Streik war für die etwas Heiliges. Die waren also auch dagegen. Ich gab nicht auf. Ich bin dann von SMUV-Sektion zu -Sektion gereist und habe das Projekt an der Basis vorgestellt. Ich brauchte die Unterstützung des SMUV, der den Antrag beim SGB-Kongress stellen musste.
Christiane Brunner mit Hund «Myel» in ihrer Wohnung in Genf. Foto: Olivier Vogelsang / Tribune de Genève
Geboren 1947 in Genf. Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen. Studium der Jurisprudenz, 1975 Anwaltspatent. Ihre Spezialgebiete sind Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. 1976 wird sie Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (SP). Arbeit als Beraterin für das Bundesamt für Sozialversicherungen in Bern. 1978 wird sie Frauensekretärin der Gewerkschaft SMUV (Schweizerischer Metall- und Uhrenarbeiterverband). Damit ist sie die erste Frauensekretärin einer Schweizer Gewerkschaft überhaupt. 1981 wird sie in den Kantonsrat Genf gewählt. 1982 wird sie Präsidentin der Gewerkschaft VPOD (Verband des Personals öffentlicher Dienste). 1988 wird sie Zentralsekretärin beim SMUV. Sie ist dort für die Uhrenarbeiterinnen und Uhrenarbeiter zuständig. 1991: Frauenstreik. Im Herbst 1991 wird sie in den Nationalrat, 1995 in den Ständerat gewählt. 1992 wird sie vollamtliche Präsidentin des SMUV. Damit ist sie weltweit die erste Frau, die einer Gewerkschaft für Angestellte der Metallindustrie vorsteht. Zusammen mit Vasco Pedrina wird sie 1994 in ein Co-Präsidium des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) gewählt. 1993 ist sie Bundesratskandidatin. Statt Brunner wird Francis Matthey gewählt. Die 100. Bundesratswahl entwickelt sich als Desaster für die Politik. Zehntausende von Bürgerinnen und Bürger protestierten gegen die Wahl von Matthey und für die Wahl einer Frau. Am 10. März 1993 wählt die Bundesversammlung Ruth Dreifuss zur Bundesrätin. Von 2000 bis 2004 ist Brunner Präsidentin der Sozialdemokratischen Partei Schweiz (SPS). 2007 zieht sich Christiane Brunner aus Beruf und Politik zurück. Sie wohnt mit ihrem Mann in Genf. Sie ist Grossmutter und hat einen Hund («Myel»), der sie auf Trab hält, und sie hat zudem eine umfangreiche Sammlung von «Bandes dessinées».
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Es ist erstaunlich, dass der SMUV den Antrag für einen nationalen Frauenstreiktag beim SGB-Kongress eingereicht hat. Der SMUV war eine traditionelle Männergewerkschaft.
C.B.: Die siebenköpfige SMUV-Geschäftsleitung, der ich angehörte, war gegen die Idee eines Frauenstreiktags. So blieb mir nur der Weg über den Vorstand. Zusammen mit meiner Assistentin, Catrina Demund, haben wir alle Vorstandsmitglieder des SMUV am Telefon von der Sache überzeugt, bis wir eine Mehrheit zusammen hatten. Es war eine knappe Mehrheit, aber immerhin eine Mehrheit. Ich bin immer noch sehr stolz, dass diese traditionelle Männergewerkschaft den Vorschlag in den SGB einbrachte. Die Männer in den SMUV-Sektionen haben die Idee schlussendlich unterstützt. Ich erinnere mich an eine Sektionsversammlung im Kanton St. Gallen. Der Sekretär hat mich eingeladen. An dieser Versammlung konnten die Mitglieder ihre Ehefrauen mitbringen. Ich stellte das Projekt vor. Ich erklärte das Projekt. Ich sah an den Reaktionen, die Idee kam bei den Versammelten nicht gut an. Sie diskutierten und machten. Schliesslich verlangte eine rund 80-jährige Frau das Wort. Sie sagte: «An diesem Tag, am 14. Juni, muss mein Mann kalt essen, ich mache beim Frauenstreik mit.» Das gab den Ausschlag. Die Versammlung sagte ja zum Frauenstreik. Diese Versammlung vergesse ich nie mehr.
Die Beteiligung am 14. Juni war gross. Junge und ältere Frauen, alle machten mit. Sie haben den Nerv der Frauen getroffen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
C.B.: Sie ist entstanden, als ich mit Frauen aus der Uhrenbranche diskutierte. Sie beklagten sich, dass sich seit 1981, als der Gleichstellungsartikel in die Bundesverfassung aufgenommen wurde, auch lohnmässig nichts verbessert habe. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit sei nur auf dem Papier garantiert. Die Versammlung fand dann, es sei nun genug gejammert. Wir Frauen müssten streiken. Ich schlug den 14. Juni 1991 vor. Der 14. Juni war ein Freitag, das hatte ich im Kalender nachgeschaut. Es war wichtig dass es kein Sonntag war. Und man muss ein Datum haben, das an etwas erinnert. Ich glaube zwar nicht, dass alle Frauen wussten, dass wir am 14. Juni 1981 über den Gleichstellungs-Verfassungsartikel abgestimmt hatten. Aber das Datum war gut. Zudem war es ein Freitag und kein Sonntag. Mit ein paar Frauen haben wir die Idee weiterentwickelt. Jemand sagte, wir müssen eine Farbe haben. Ich fand das blöd. Was soll das? Sie fanden das gut, wegen der Sichtbarkeit. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Idee mit der Farbe wirklich gut war.
Catrina Demund hat den Slogan erfunden «Wenn Frau will, steht alles still». Wir hatten dazu eine Zeichnung mit einer Frau, die die Arme vor der Brust verschränkt. In der deutschsprachigen Schweiz funktionierte diese Zeichnung nicht. Die Deutschschweizerinnen bevorzugten die Frauenaugen. Elfie Schöpf vom SGB und ich waren für die Organisation des Streiks zuständig. Wir waren ein gutes Team. Sie war aus der Deutschschweiz, ich aus der Westschweiz. Wir waren also eine ideale Ergänzung. Sie vertrat die deutschsprachige, ich die französischsprachige Kultur.
Im Vorfeld des Frauenstreiks haben sich Frauen in vielen Betrieben und an unzähligen Versammlungen mit der Frage, was bedeutet ein Streik, auseinandergesetzt. Zum Beispiel, wer bezahlt oder welche Sanktionen zu erwarten sind.
C.B.: Das war tatsächlich auch ein Problem. Die Arbeitgeberverbände haben scharf reagiert. Sie kündigten an, dass sie eine streikende Frau entlassen würden. Die im SMUV haben gezittert! Ich erfuhr von Mitarbeiterinnen, dass in allen SMH-Betrieben auf dem Anschlagbrett ein Zettel hing. Es sei verboten zu streiken, wer streike, würde sofort entlassen! Was machen wir jetzt?, fragten wir uns. Als Verantwortliche beim SMUV für die Angestellten der Uhrenbranche hatte ich viele Kontakte mit Arbeitgebern. So auch mit Nicolas Hayek von der SMH, heute Swatch Group. Ich habe Nicolas Hayek angerufen. Ich habe ihm erklärt, dass es nicht direkt gegen Arbeitgeber gehe, sondern dass es darum gehe, darauf aufmerksam zu machen, dass in Sachen Gleichstellung noch nicht viel geschehen ist. Er liess alle Anschläge wieder entfernen und liess stattdessen am Morgen des 14. Juni 1991 allen Frauen eine Rose verteilen. Das hat den anderen Arbeitgebern Eindruck gemacht.
Die Arbeitgeber hatten Angst, dass Frauen in den Streik treten würden?
C.B.: Ja. Die Drohungen der Arbeitgeber im Vorfeld des Streiks waren teilweise sehr massiv. Mir war wichtig, dass sich alle Frauen an diesem Tag beteiligen könnten. Darum waren alle Aktionen wie verlängerte Pausen oder das Anbringen von Transparenten an den Fassaden willkommen. Wichtig war, dass es sichtbar wurde, dass die Frauen unzufrieden sind. Mit der Umsetzung der gleichstellungspolitischen Schritte harzte es.
Dass sich mehr als eine halbe Million Frauen beteiligten, macht deutlich, dass sehr viele Frauen unzufrieden waren.
C.B.: 1981 hatten wir die Abstimmung über den Gleichstellungs-Verfassungsartikel. Viele Frauen dachten, damit wird alles gut. Nach zehn Jahren stellten wir aber fest: Es braucht mehr als nur ein Verfassungsartikel. Die Gleichstellung muss gesetzlich verankert werden, damit es vorwärts geht. Der Frauenstreik hat dazu beigetragen, dass es auf gesetzlicher Ebene vorwärts ging.
1995 hat das Parlament Ja gesagt zum neuen Gleichstellungsgesetz. Es ist ein wichtiges Instrument zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann. Frauen, die sich für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit wehren, müssen geschützt werden. Der Frauenstreik hat also eindeutig etwas bewirkt. Es hat zudem das Bewusstsein gestärkt. Das war gut. Es gab Kraft. Es war mehr als nur ein Streiktag. Dieser Tag hat vielen Frauen Kraft gegeben.
Zürich, 14. Juni 1991. Foto: KEYSTONE/Walter Bieri
Wenn Sie jetzt zurückblicken. Würden Sie die Arbeit noch einmal auf sich nehmen?
C.B.: Ja, ich glaube schon. Man kann immer sagen, es hat zuwenig Konkretes bewirkt. Es hat sich gelohnt, allein schon wegen der Freude, die überall spürbar war. Es gab schöne Momente. Ein Gefühl der Gemeinsamkeit. Darum würde ich es noch mal machen. Nachher habe ich gesagt, man muss nicht immer jedes Jahr daran erinnern. Man muss aufhören. Dann ist es fast wie am 8. März. Es ist fast wie eine Gedenkfeier.
Dann sind Sie auch eher kritisch gegenüber der Idee der Gewerkschaften, in diesem Jahr am 14. Juni einen Frauenaktionstag zu lancieren?
C.B.: Ja, ich stehe dieser Idee kritisch gegenüber. Man hätte eine neue Form finden müssen. Mit der sich die Frauen wieder mobilisieren lassen. Aber vielleicht wird es auch wieder ein Ereignis. In diesem Jahr kann man so viele gleichstellungspolitische Jubiläen feiern!
Die Gewerkschaftsfrauen sprechen heute von einem Frauenaktionstag und nicht von einem Frauenstreik. In der Schweiz wird wenig gestreikt. Streik ist immer noch ein Reizwort.
C.B.: Damals, vor 20 Jahren, lief diese Diskussion auch schon. Der SGB hat vorgeschlagen, von einem Frauenaktionstag und nicht von einem Frauenstreiktag zu sprechen. Weil wir eine Mehrheit davon überzeugen konnten, dass ein Frauenaktionstag weniger gut funktioniert, kam es zum nationalen Frauenstreiktag.
Der Anteil der Frauen in der Politik stagniert gesamtheiltlich gesehen oder ist zurückgegangen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
C.B.: Heute ist das Hauptanliegen der Frauen die Vereinbarung von Beruf und Familie. Ich sehe so viele Frauen, die einen Karriereknick haben. Viele Frauen sagen aus familiären Gründen Nein zu einem Angebot ihrer Vorgesetzten. Ich habe ein sehr grosses Verständnis für diese Frauen. Ich bin ja jetzt Grossmutter. Ich bekomme einige Telefonanrufe von meinen Kindern, die mich fragen, könntest Du einspringen, mein Kind ist krank. Ich bin auf Abruf, um als Grossmutter für den Hütedienst einzuspringen. Es ist heute sehr schwierig, Beruf, Familie und Politik unter einen Hut zu bringen.
Sie sind 1978 Frauensekretärin der Gewerkschaft SMUV geworden. Damit waren Sie die erste Frauensekretärin in der Schweiz. Wie war das für Sie?
C.B.: Komischerweise hatte der SMUV die erste Frauensekretärin. Das war ein Anliegen der Frauen im SMUV. Per Zufall habe ich kandidiert. Als Anwältin mit Schwerpunkt Arbeits- und Sozialversicherungsrecht gab ich viele Kurse für Gewerkschaftsfrauen. Sie haben mich aufgefordert, ich solle mich doch bewerben. Ich war VPOD-Mitglied, aber ein eher passives Mitglied. Ich kannte mich nicht aus mit Gewerkschaften. Ich bewarb mich auf die Stelle, hörte dann lange nichts und wurde dann nach einem Gespräch zu meinem Erstaunen gewählt. Sie wussten nicht, was ich eigentlich sollte. Es gab keine Vorstellung davon, was ich machen sollte. Ich war dann viel unterwegs. Ich habe ein Tätigkeitsprogramm ausgearbeitet. Ich präsentierte es an der Delegiertenversammlung. Und es wurde einfach abgelehnt. Ich gab nicht auf. Ich machte eine Tournee durch die Sektionen. Ich habe mich eingeladen bei den Sektionen. Nach sechs Monaten wurde das Tätigkeitsprogramm angenommen. Einstimmig. Ich hatte kein Komma geändert, aber genügend Leute überzeugt. Es war ein hartes Stück Arbeit. Ich war noch jung, war viel unterwegs. Ich weiss nicht mehr, was in diesem Tätigkeitsprogramm stand. Ich weiss nicht mehr, warum sie im Einzelnen dagegen waren. Es gab damals noch viele Männer, die fanden, sie müssen genug verdienen, um Frau und Kinder finanzieren zu können. Frauen hatten ihrer Meinung nach in der Berufswelt nichts verloren.
Sie haben es dann bis zur Co-Präsidentin des SGB geschafft. Zusammen mit Vasco Pedrina.
C.B.: Vasco und ich waren ein gut eingespieltes Team, weil wir wussten, was wir wollten. Wir kannten uns gut, er war GBI-Präsident und ich SMUV-Präsidentin und Ständerätin. Wir konkurrenzierten nicht. Vasco hat immer meine Kreativität unterstützt. Es war für mich klar: Das Co-Präsidium nur mit ihm.
Sie waren die erste vollamtliche Gewerkschaftspräsidentin der Schweiz. Was gab den Ausschlag, dass Sie SMUV-Präsidentin wurden?
C.B.: Die einten dachten, ich tue niemandem weh. Die anderen wollten mehr Bewegung in der Gewerkschaft. In den Sektionen klebten die Funktionäre auf ihren Posten, sie waren die kleinen Chefs, die Könige. Ich musste die Gewerkschaft neu organisieren und neue Leute bringen, die Arbeit neu ausrichten und eine neue Dynamik bringen. Das war ein hartes Stück Arbeit.
Sie haben dann zusammen mit Vasco Pedrina eine neue Gewerkschaft, die kleine unia, ins Leben gerufen. Warum war das wichtig?
C.B.: Es ging darum, den Tertiärbereich zu organisieren und die Frauen in die Gewerkschaft zu holen und zu organisieren. Wir wollten eine Gewerkschaft für Frauen. Es war sehr schwierig für die traditionellen Gewerkschaften, die Frauen an ihren Arbeitsplätzen zu erreichen. Es ist ungewöhnlich, dass zwei Gewerkschaften zusammen eine neue Gewerkschaft gründen. Die kleine unia führte dann zur Unia. Wir haben die Fusion in die Wege geleitet. Ich fand die Konkurrenz zwischen Gewerkschaften unsinnig. Die Konkurrenz war damals gross. Ich brachte viel Unruhe in die Gewerkschaften. Das musste so sein. Jetzt sind die Gewerkschaften eine grosse gemeinsame Kraft.
Frauen sind immer noch in der Minderheit in der Gewerkschaft. Wie könnten Gewerkschaften attraktiver für Frauen werden?
C.B.: Frauen sind auch immer noch in der Minderheit in der Arbeitswelt. Und in Berufen, die für eine Mobilisierung schwierig sind. Sie bleiben nach der Arbeit nicht und trinken noch ein Bier mit den KollegInnen. Und sie haben Angst. Zudem muss man in den Gewerkschaften auch Platz machen für neue Leute. Männer kleben eher. Frauen weniger. Es braucht einfach mehr Bewegung.
1993 waren Sie Bundesratskandidatin. Sie wurden nicht gewählt. Das mobilisierte wieder viele Frauen. Sie haben die Zeit geprägt. Man sprach vom Brunner-Effekt – wie war diese Zeit für Sie?
C.B.: Der Frauenstreik hatte einen Einfluss auf diese Zeit. Erst wurde ein Mann gewählt statt einer Frau. Das fanden viele Frauen ungerecht. Das hat unglaublich mobilisiert. Es führte schlussendlich zur Wahl von Ruth Dreifuss in den Bundesrat, es brachte wieder eine gute Bewegung. Wir müssen uns einfach immer wieder wehren. Diese zwei Ereignisse haben etwas gebracht. Ein anderes Verständnis. Es sind viele Frauen nach Bern gekommen! Es gab eine breite Mobilisierung. Ich war nach dieser Zeit völlig erschöpft.
1969 waren Sie Mitbegründerin der Frauenbefreiungsbewegung, sie waren Feministin und immer eine der beliebtesten Politikerinnen. Wie machten Sie das?
C.B.: Wie ich es machte? Es hat mit Ehrlichkeit zu tun. Wenn ich etwas nicht wusste, dann sagte ich, ich weiss es nicht. Und es hatte sicher mit meiner Erfahrung als Mutter zu tun. Mein Partner hatte Kinder und ich auch. Es war anstrengend, das Tätigkeitsprogramm als SMUV-Frauensekretärin in der ganzen Schweiz vorzustellen, wenn man auch noch kleine Kinder zuhause hat. Mein Mann hörte dann auf zu arbeiten. Ich wurde wie ein Mann. Ich fragte, wenn ich nachhause kam, gibt es etwas zu essen? Ich hatte diesen Rollenwechsel also hautnah erlebt. Ich wusste, es war keine Frage des Geschlechts, sondern der gesellschaftlichen Rolle. Ich rede von etwas, das ich erlebt habe. Ich kenne die Schwierigkeiten, mit denen Frauen zu tun haben. Nach drei Jahren war ich geschieden. Ich komme aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Ich musste kämpfen, um studieren zu können. Als ich schwanger war, ich war sehr jung schwanger, wollte mein erster Mann dass ich daheim bleibe. Ich hatte ein Studium, war Anwältin. Ich wollte nicht zuhause bleiben. Ich sagte ihm, dass ich nicht studiert habe, um daheim zu bleiben. Ich habe das privat alles erlebt. Ich wusste, wovon ich sprach. Das strahlte ich vermutlich aus.
Das Westschweizer Fernsehen hat in seiner Informations-Hintergrundsendung «Temps présent» ausführlich über den Frauenstreik berichtet. Titel der Sendung: «Femmes en grève». Hier der Link zur Sendung vom 20. Juni 1991 : http://archives.tsr.ch/player/unjour-grevefemme
Zum Frauenstreik sind zwei empfehlenswerte Bücher erschienen:
Zur Nichtwahl von Christiane Brunner in den Bundesrat empfehlen wir ebenfalls zwei sehr lesenswerte Bücher, die die Hintergründe beleuchten: